...
Zunächst verlasse ich Puerto Montt auf einer Asphaltstraße. Da es Sonntag ist, ist der Verkehr nur mäßig. Irgendwann treffe ich Mathilda, eine spanische Radlerin, die in der Gegenrichtung
unterwegs ist und die mich gleich ziemlich zutextet, in dem Glauben ich könne fließend Spanisch.
Nach einigem Bremsen und der erfolglosen Suche nach einer anderen gemeinsamen "Fremdsprache" bleiben wir bei Spanisch, allerdings "muy tranquillo" (sehr langsam). Jedenfalls verstehe ich jetzt
ihre Probleme. Einerseits zu wenig Campingplätze, andererseits zu viel Schotterpiste und insgesamt zu wenig Leute, die in ihre Richtung - nach Norden - fahren. (Da bin ich leider auch einer von.)
Sie vermacht mir dann ihre Karte der Carretera Austral, da dieser Abschnitt für sie nun erledigt ist. (Nebenbei: Es ist wirklich erstaunlich wieviele Landkarten mir in den letzten Monaten einfach
so zufliegen.)
Irgendwann wird die Straße dann zur Schotterpiste (auf Spanisch: "ripio".), und ja, sie ist übel. Jede Menge Wellblech, grobe Steine und dazu herbe Steigungen und Gefälle. Ich profitiere von den
Erfahrungen der letzten Wochen und schaffe es bis kurz vor die Fähre, von der ich nur weiß, dass sie um 10:45 Uhr geht und über drei Stunden braucht.
Ich übernachte auf einer Wiese voller Baumaschinen und erwarte keine weiteren Scherereien, da es schon spät abends ist und ich morgen sowieso zeitig weiter muss. Da habe ich allerdings die
Rechnung ohne den Wirt gemacht und der heißt hier "Kuh". Kurz vor Anbruch der Dunkelheit stehen etwa zehn Kühe um mein zelt und sehen äußerst mißtrauisch und gar nicht "amused" aus. Ich schaffe
es dann jedenfalls sie etwas auf Distanz zu halten, indem ich aus dem Zelt krieche und mich etwas aufbaue und breitmache.
Für die Nacht reicht diese Prozedur, aber schon am nächsten Morgen ist der ganze Trupp wieder schmatzend und wiederkäuend rund um mein Zelt versammelt und blinzelt mich aus den Augenwinkeln
an.
Es gelingt mir noch das Zelt abzubauen und mein Fahrrad zu "satteln" bevor die Kuhmeute doch etwas unruhig zu werden scheint. Ein Trupp Bauarbeiter sieht belustigt vom entfernten Straßenrand zu
wie ich mich langsam aber sicher zwischen den Kühen durcharbeite. Als ich bei ihnen vorbeikomme grüßen sie dann freundlich. Die mir hinterhergerufenen spanischen Worte haben irgendwas mit Kühen
zu tun. Leider verstehe ich sie nicht aber bei den Kollegen vom Bau tragen sie zur allgemeinen Erheiterung bei. Aber angenehm, ich fühle mich nicht "ausgelacht".
An der Fähre warten bereits Martina und Roman, zwei Radler aus der Schweiz und Whilly und Suzanna, zwei Wanderer die gerade von einer Reihe Vulkanbesteigungen kommen, aus Spanien. Es wird eine
nette Überfahrt in angenehmer Runde.
Es gibt alledings noch ein Problem. Nach der ersten dreistündigen Fährfahrt gibt es eine weitere halbstündige, die jedoch zehn Kilometer weiter südlich bereits eine halbe Stunde später abfährt.
Mit dem Rad ist das auf den Schotterpisten und den Steigungen unmöglich zu schaffen. Bei der Fährgesellschaft sagt man uns nur, wir müssten uns selbst um eine Mitfahtgelegenheit kümmern. Außerdem
wäre das Ticket für das zweite Boot nur heute gültig. Also zwischendrin Übernachten ginge also auch nur mit Nachzahlen. Ich glaube allerdings nicht, dass sie einen am nächsten Tag wirklich stehen
lassen würden, aber da die Fähren nur einmal am Tag fahren wäre man einen Tag festgesetzt. Im Nachhinein wären hier allerdings einige interessante Wanderungen zu unternehmen. Außerdem gibt es
sogar Campingplätze.
Aber gut, kümmern wir uns mal um einen "Lift" für unsere Fahrräder. Whilly und Suzanna bieten an zu übersetzen, aber ich lasse mir die Gelegenheit nicht nehmen, mal mein gesammeltes Spanisch
auszuprobieren und es klappt erstaunlich gut. Ich suche mir einen Pickuptruck mit Platz auf der Ladefläche und spreche den Fahrer an: "¿Perdon, es possible para transportar mi con mi bici de la
primera a la secunda barca?" ("Ist es möglich mich mit meinem Rad vom ersten zum zweiten Boot zu transportieren?") Und ich werde verstanden. Miguel, der Fahrer des Pickup, ist ein netter etwa
vierzigjähriger Zeitgenosse. Leider spricht er nur wenig Englisch aber Whilly und Suzanna tun ihr Bestes und übersetzen wenn ich Erklärungsbedarf signalisiere. Außerdem kann ich so meine
Spanischbrocken anwenden indem ich versuche mit meinem Grundwortschatz und fast ohne Grammatik Miguel über die politische Situation auszuquetschen. So erfahre ich, dass er eine Art Schulinspektor
für bevölkerungsarme Gegenden ist und sich gerade auf einer Dienstreise zu drei Dorfschulen befindet. Er ist glühender Sozialist und damit "Bachelet"-Anhänger. Man spürt bei ihm eine gewisse
Euphorie angesichts des vielversprechenden Ausgangs der ersten Wahlrunde.
Als wir später zur zweiten Fähre "übersetzen" sind Whilly und Suzanna auch im Auto und wir haben eine gute Zeit. Ein sehr entspannter Humor macht sich breit. Auf die zweite Fähre passen wir dann
nicht mehr drauf und müssen auf ein zweites Boot warten. In der guten halben Stunde Wartezeit kredenzt uns Miguel eine Kostprobe der hier am Wegesrand wie Unkraut wuchernden Nalcapflanze. Sie
sieht aus wie übergroßer Rhabarber und man isst das Innere der Stengel roh mit etwas Salz. Der Geschmack ist sehr wässrig mit einer Spur Saurem. Ich habe nach viel überlegen keinen vergleichbaren
Geschmack finden können um das zu beschreiben. Das besondere ist wahrscheinlich, das Fehlen jedlicher Bitterkeit, die rohen Pflanzen sonst häufig eigen ist.
Am Ende der zweiten Fähre laden wir mein Rad und das Gepäck ab und ich sattele wieder auf. Whilly und Suzanna fahren weiter mit Miguel mit, da sie kein Zelt haben und deshalb auf Ortschaften zum
Übernachten angewiesen sind. Wir verabschieden uns herzlich und ahnen noch nicht, dass wir uns hier auf einer besonderen Straße befinden, wo man nämlich fast alle Bekanntschaften mindestens
zweimal trifft.
Ich habe am selben Abend noch drei weitere Bekanntsschaften, die ebenfalls eine gewisse Nachhaltigkeit haben sollten. Die erste ist ein wirklich netter kleiner wuscheliger Hund, der irgendwann
einfach still hinter mir herläuft. (Es geht mehrere Kilometer eine leichte Steigung hoch.) Irgendwann läuft er vorne weg, wartet. Legt sich in einen Bach am Straßenrand und wenn ich anhalte wird
er ungeduldig. Überholenden oder auch entgegenkommenden Autos läuft er kurz nach, bis er merkt, dass er nicht mithalten kann. Dann bin ich wieder interessant. Nach etwa fünf Kilometern denke ich,
es wird Zeit ihn abzuwimmeln, damit er nicht zu weit von zu Hause weg gerät. Das gelingt aber erst nach guten zehn Kilometern. Glücklicherweise noch kurz vor meinem anvisierten Campsite.
Etwas erleichtert baue ich mein nasses Zelt auf und stelle es noch mal kurz zum Trocknen in die Sonne, als ein Auto auf den Zeltplatz fährt und den Hund, zu diesem Zeitpunkt nannte ich ihn
"Sombra" (Schatten), im Schlepptau hat. Mit wedelndem Schwanz kommt er auf mich zu um dann sofort zu Ines und Matthias, das sind die beiden sympathischen Deutschen, denen das Zelt gehört, was
hier schon stand als ich ankam und die gerade mit dem Auto hier ankamen. Sie waren auf der selben Fähre und haben noch eine kleine Wanderung gemacht. Wir drei plus Hund sind die einzigen Gäste
und überlegen, was wir mit dem Tier tun sollen. Zunächst beschließen wir ihn nicht zu füttern, damit er vielleicht von selbst "Leine zieht". Das fällt auch sehr leicht, da er gar nicht bettelt,
sondern einfach im Gras liegt und schläft oder zumindest döst. Die Nacht bricht an und mit dem Verschwinden der Sonnenstrahlen kriecht eine kalte feuchte Regenwaldluft in alle Ritzen und
Ecken.
Da es nicht so aussieht, als würde "Sombra" uns noch verlassen beschließen wir ihm doch etwas zu Essen zu geben. Immerhin ist er gute 13 Kilometer gelaufen und sein Fell ist noch ziemlich nass
von seinen Badetouren in den Bächen. Er bekommt zwei Brötchenhälften und eine gute Portion übriggebliebene Pasta mit Thunfisch. Das Erstaunliche ist, daß er erst die Brothälften entführt und sie
einzeln an verschieden Plätzen "vergräbt". Dann widmet er sich der Pasta und liegt dann wieder schlafend irgendwo in unserer Nähe. Irgendwann geht Ines in's Zelt um etwas zu holen und erschrickt,
als sie im Vorzelt auf etwas Haariges feuchtwarmes trifft. "Sombra" hatte seinen Platz gefunden.
Für die Nacht holen die beiden die Rettungsdecke aus dem Autoverbandskasten und richten damit eine Art Körbchen.
Am nächsten Morgen ist es das erste Mal, dass er Streicheleinheiten einfordert. Sonst ist er vom Wesen her mehr wie eine Katze, mal abgesehen von seiner Anhänglichkeit. Als ich mich dann zu einer
neunzig minütigen Wanderung zu den "Cascadas encantadas", den verborgenen Wasserfällen, aufmache ist er gleich Feuer und Flamme. Ines und Matthias frühstücken noch. So ziehe ich los und "Sombra",
mittlerweile habe ich ihn in "Vagabund" umgetauft, da das besser passt, ist wie am Vortag immer um mich rum. Ich habe mehr und mehr den Eindruck, daß er sich hier gut auskennt. Der Weg geht
häufig über Holzsprossen, was für ihn aber kein Problem darstellt. Erst bei einer steilen etwa zehnmeterhohen Leiterpassage muß er passen. Er bleibt oben sitzen und als es ihm zu lange dauert -
der Weg ist eine Sackgasse zu einem der Wasserfälle - begint er zu bellen. Als ich dann wieder oben auftauche ist er verschwunden. Gut, denke ich, dann kann ich nachher wenigstens in Ruhe
weiterfahren.
Ich wandere weiter im "gemäßigten Regenwald" des "Pumalinparks" und komme noch zu einem weiteren wesentlich höheren Fall und einem Wald aus über hundert Jahre alten Lärchen.
Und irgendwann steht "Vagabund wieder vor mir. Schwanzwedelnd läuft er vorbei, sondiert den Weg den ich kam und weicht mir bis zum Campsite nicht mehr von der Seite. Im Nachhinein erfahre ich,
dass er Ines und Matthias an der selben Leiterpassage verlassen hat. Wahrscheinlich ging er dann schnurstracks auf die Suche nach mir. Ja wirklich, doof ist er nicht!
Nun ja, am Campingplatz angekommen mache ich eine keine Essenspause und geben ihm demonstrativ nichts ab, damit er es sich vielleicht doch noch anders überlegt. Nixda! Weitere fünfzehn Kilometer
mit Hundebegleitung sind angesagt. An einer Brückenbaustelle bitte ich kurzentschlossen die Arbeiter, den Hund für einige Minuten festzuhalten (Ja, er hat ein Halsband!). Das scheint aber nicht
geklappt zu haben, denn bereits nach zwei Minuten ist er wieder an meinem Hinterrad. Die Zunge wird immer länger und allmählich tut er mir echt leid. Irgendwie ist es ein schönes Gefühl einen
Begleiter um sich rum zu haben, aber ich kann ihn unmöglich weiter mitnehmen. Transportieren kann ich ihn nicht, da er zu schwer ist und Mitlaufen ist bei einem Pensum zwischen 60 und 100
Kilometer pro Tag auch keine Möglichkeit. Ich hatte gerade gelesen, daß ein Hund, der aus Spaß den Boston Marathon mitgelaufen war, eine Woche später an soetwas wie dem plötzlichen Herztod
gestorben war.
Also lasse ich ihn dann schweren Herzens und mit Tränen in den Augen bei der nächsten längeren Abfahrt stehen und treffe etwa dreißig Minuten später mitten im Wald Whilly und Suzanna wieder. Eine
gelungene Ablenkung. Trotzdem beschäftigt mich "Vagabund" noch die nähsten Tage.
Abends komme ich nach Chaiten. Das besondere hier ist, daß große Teile des Ortes vor drei Jahren durch den Ausbruch des nahegelegenen gleichnamigen Vulkans vom Gewicht der Asche langsam zerdrückt
wurden. (Ähnliches habe ich schon sehr anschaulich auf den Vestmaennaer-Inseln bei Island gesehen.) Hier stehen nun jede Menge neue oder zumindest gut restaurierte Gebäude. Nur die Baulücken und
so manche Ruine zeugen noch von der Katastrophe.
Kommentar schreiben