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Die Apollo ist ein abgehalftertes und stark vergammeltes Schiff, dass zwei bis drei mal pro Tag von St. Barbe auf Neufundland nach Blanc Sablon im äußersten Nordosten Québecs fährt. Dabei ist
allerhand Zauberei im Spiel. So legt das Boot etwa um 11:00 Uhr in St. Barbe ab kommt aber nach einer Überfahrt von etwa 100 Minuten bereits um 11:10 Uhr in Blanc Sablon an. Die Lösung dieses
Rätsels ist nicht etwa ein Lichtgeschwindigkeitstragflächenboot, sondern vielmehr das Aufeinandertreffen verschiedenster Zeitzonen. Ich hatte nämlich vergessen zu erwähnen, dass auf Neufundland
und Labrador (das ist zusammen eine Provinz, erwa wie das Rheinland und die Pfalz ;-) die Uhren dreißig Minuten vor der Zeit von Nova Scotia liegen. Sozusagen also echte Frühaufsteher, nicht wie
in Sachsen Anhalt, wo einem das auf Autobahnschildern suggeriert wird. In Québec hingegen ticken die Uhren nach der Montrealzeit und da die Provinz so riesig ist, gibt es dann eben solche
Randbereiche, wo im Sommer morgens um vier die Sonne aufgeht und bereits gegen 18:00 die Dämmerung einsetzt.
Das praktische an dieser Ecke ist, dass man von Blanc Sablon bloß in den fünf Kilometer entfernten Ort Anse St. Claire fahren muss, und schon haben die Läden wieder 90 Minuten länger auf. Das
selbe gilt dann frühmorgens natürlich umgekehrt.
Apropos Läden. Im Lebensmittelbereich offenbart sich hier eine wahre Artenvielfalt von Angeboten. Man kommt sich vor wie in Frankreich. Statt der bisherigen drei Käsesorten: Cheddar old, Cheddar
mild und Mozza(rella) gibt es jetzt auch Camembert, Brie und sogar diverse Rohmilchkäse. In allen Nahrungsfraktionen scheint das Angebot zu explodieren. Kein Wunder also, dass ich hier meine
kulinarische Kreation für Kanada kreiere (siehe Menupunkt: "Rezepte").
Als abschließenden Kontrast denke ich nochmal kurz zurück an meinen letzten Neufundlandtag, wo ich dem "local food" eine Chance geben wollte. In einem "familydriven" Dinercafe bestelle ich einen
Hamburger mit Pommes. Das ganze kommt wenig später in einem Plastikkörbchen mit untergelegter Serviette. Der Hamburger ist ein leicht versalzener Hackfleischbrocken zwischen zwei Teigscheiben,
die hier in den Supermärkten allgemein als Brötchen verkauft werden. Ein Kleks Ketchup hält dabei das Oberteil mit der Fleischmasse zusammen. Das Unterteil hat durch das austretende Bratfett und
das spezifische Gewicht der Boulette ohnehin keine Chance zu entkommen. Daneben türmt sich ein gigantischer Haufen Fritten, der von einer braunen Sauce namens "Gravy" bedeckt wird. Salat gibt es
hier nicht mal als Garnitur. Auch Gurke oder Karotte ist nicht zu sehen. Auf der Speisekarte findet sich an Gemüsigem nur "Coleslaw" - ein Kohlsalat, der mit Sahne angedickt wird. Grünes kommt
hier scheinbar nicht auf den Teller. Zu allem Überfluss begehe ich auch noch den Fehler, mir vor dem Essen die Hände mit der Haus-Seife zu waschen. Letztere verbreitet einen derart penetranten
Geruch nach Kokos und anderen tropischen Früchten, dass ich ihn noch Stunden später wahrzunehmen glaube. So wird jedenfalls jeder Biss in den lieblos zusammengebauten Hamburger, den man ja
bekanntlich mit den Händen ist, zu einem wahren Kosmos der Geruchs- und Geschmacksnoten. Das Parfüm der Seife schafft es leider auch locker, die Distanz einer Gabellänge zwischen den Pommes und
meiner Nase zu überwinden. Das Körbchen geht schließlich halb voll zurück und ich bestelle noch einen Kaffee. Leider wird auch der noch so stark vom tropischen Seifenaroma beeinträchtigt, dass
ich beschließe, die nächsten Stunden das Thema Nahrung zu vergessen, oder, bevor ich verhungere, mir die Hände gründlich mit Benzin zu waschen, da mir die Halbwertszeit der Aromen dabei deutlich
geringer scheint.
Aber wie schon gesagt, in Québec (und auch dem angrenzenden Teil von Labrador) tun sich da ganz neue Möglichkeiten auf, was das Essen angeht. Ein Supermarktverkäufer erzählt mir auf meine
Nachfrage auch prompt, wie die Neufundländer von der Fähre regelmäßig über seine Wurst-, Pate- und Käsebestände herfallen, da es das alles drüben nur in den großen Städten gibt. Und selbst dort
ist die Auswahl oft nicht so reichhaltig wie hier in dem zweitausend Seelenort von Blanc Sablon.
Da ich bereits einen Tag später mit der Fähre nach Rimouski weiterfahren möchte, bleibt mir nur ein Abend und der nächste Vormittag, mich in Labrador etwas umzusehen. Allerdings erfahre ich schon
sehr früh, dass das Boot, das hier im Wochenzyklus vorbeikommt, mindestens sechs Stunden Verspätung hat, da es von einem Sturm aufgehalten wurde.
Als ich am nächsten Mittag wieder an den Hafen komme, hat sich die Verspätung auf 24 Stunden vervierfacht. Das Gute daran ist für mich, dass ich mein Gepäck im Aufenthaltsraum der
Fährgesellschaft lassen kann, wo ich später auch übernachten werde und noch einmal einen halben Tag bei etwas kühlem aber strahlendem Sommerwetter die Küste erforschen kann.
Es ist hier landschaftlich sehr ähnlich wie in Grönland. Sehr karg, kaum Bäume, felsige Küste mit Sandstrandepisoden. In einem langen Gespräch mit Anne, einer Einheimischen, die in der
Touristinformation arbeitet, erfahre ich eine Menge über die strukturellen Probleme der Region. Wie so mancherorts wandern auch hier die jungen Leute ab, da es beruflich und bildungstechnisch
wenig Möglichkeiten gibt. Auch die alten existenzsichernden Traditionen wie Fischen und Jagen geraten mehr und mehr in Vergessenheit. Da ist das Beerensammeln im Sommer noch ein echter
überlebender Brauch, dem ich auch gerne nachgehe. Eine Besonderheit ist hier die Moltebeere, die hier "bakeapples" genannt wird, aber nicht wie ein Bratapfel, sondern eher wie eine weiche
Stachelbeere schmeckt.
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Christine (Montag, 30 September 2013)
Hallo Michael,
endlich kam ich dazu deine Berichte zu lesen. Ganz schön aufregend alles. Wünsche dir weiterhin viel, viel Spaß bei deiner Tour und nicht mehr ganz so viel starke Winde und Regen.
Unsere Gitarrenstunden mit ZAMBO sind jetzt auch gestartet und Jonas findet deinen Vertretungslehrer auch voll cool. Freue mich auf weitere spannende Zeilen von dir und liebe Grüße von der gesamten Klöcknerbande aus Klein-Winternheim